Stellungnahme Ambulante Kinder- und Jugendhilfe: Änderung des Gesetzes über die Sozial- und die Jugendhilfe (SHG, SGS 850)
Sehr geehrte Damen und Herren
Die Grünen Baselland bedanken sich für die Einladung und nehmen gerne Stellung zur vorgeschlagenen Änderung des Gesetzes über die Sozial- und die Jugendhilfe.
Allgemeiner Kommentar
Die Kinder- und Jugendhilfe ist mit einer Vielzahl unterschiedlicher und komplexer Problemstellungen konfrontiert. Damit sie diesen bedarfsgerecht und wirkungsvoll begegnen kann, ist sie auf ein breites Angebot ambulanter und stationärer Interventionsmöglichkeiten angewiesen. Ambulante und stationäre Angebote dürfen dabei nicht als entgegengesetzte oder sich konkurrierende Massnahmen verstanden werden, sondern als sich ergänzende und kooperierende Bereiche, die den Kindern und Jugendlichen sowie ihren Familien die bestmögliche Unterstützung garantieren. Unter diesen Voraussetzungen ist es sinnvoll und richtig, dass die Planung und Koordination der ambulanten und stationären Angebote der ergänzenden Hilfen zur Erziehung in der Verantwortung einer gemeinsamen Fachstelle zusammengeführt werden.
 
Grundsätzlich unterstützen wir deshalb die mit der Gesetzesänderung angestrebte Neuregelung im Hinblick auf die im Begleitschreiben genannten Ziele:

  1. Kinder, Jugendliche und Familien erhalten passende, qualitativ gute und wirksame Hilfen zur rechen Zeit.
  2. Abklärende und fallführende Fachpersonen und Dienste können auf ein bedarfsgerechtes und qualitätsgeprüftes Angebot ambulanter Hilfen zugreifen. Sie können sich in Bezug auf alle ergänzenden Hilfen zur Erziehung auf klare, einheitliche Regelungen der Zuständigkeiten verlassen.
  3. Die Angebote an ambulanten und stationären Hilfen entsprechen dem Bedarf. Sie sind gesteuert, aufeinander abgestimmt und koordiniert. Die Finanzierung der Leistungen von anerkannten Angeboten ist geklärt. Die Qualität der Angebote ist überprüft und wird zusammen mit den Anbietenden kontinuierlich weiterentwickelt. Die Abstimmung der verschiedenen Prozesse und Leistungen im gesamten Bereich der ergänzenden Hilfen zur Erziehung ist vorhanden.

Kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation
Die stationären Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe nehmen nicht einfach willkürlich Kinder und Jugendliche auf. Die Indikation wird in jedem Fall einzeln überprüft. Es besteht ein nachweislicher Bedarf für stationäre Angebote und deren Wirksamkeit ist belegt. Sie kommen bereits heute erst dann zum Einsatz, wenn die notwendige Unterstützung mit ambulanten Angeboten nicht gewährleistet werden kann. Ein Grossteil der Heranwachsenden, die in stationären Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht sind, leidet unter mehreren komplexen und schwer zu behandelnden psychiatrischen Erkrankungen und gerade in diesem Bereich herrscht bereits heute eine Unterversorgung (vgl. Resultate MAZ. aus dem Jahr 2012). Mit einem Ausbau der ambulanten Angebote lässt sich dieser Umstand nicht beheben. Ein Abbau der stationären Angebote würde die Situation sogar noch verschlimmern. Hilfreich und notwendig wäre eine verbesserte Kooperation zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Schon seit einigen Jahren besteht in der Kinder- und Jugendhilfe eine starke Tendenz zur „Ambulantisierung“. Im Sinne der Subsidiarität erscheint dies durchaus sinnvoll und wünschenswert. In einzelnen Fällen lässt sich so eine stationäre Unterbringung möglicherweise durch einen niederschwelligen und frühzeitigen Zugang zu ambulanten Angeboten verhindern. Andererseits kann das Hinauszögern einer Fremdplatzierung durch den Einsatz verschiedener ambulanter Angebote auch negative Auswirkungen haben und die Chancen auf eine positive Entwicklung verringern, wenn Kinder und Jugendliche dadurch länger in einem destruktiven oder dysfunktionalen Herkunftsmilieu bleiben. Die Komplexität der Probleme und der Behandlungsbedarf nehmen zu, wodurch sich der anschliessende stationäre Aufenthalt verlängert. In jedem Fall sollten daher das Kindswohl und fachliche Überlegungen als Entscheidungsgrundlage dienen und nicht kurzfristige Sparmassnahmen oder finanzielle Aspekte ausschlaggebend sein.
In der Landratsvorlage wird beschrieben, dass Gemeinden heute lieber stationäre Massnahmen empfehlen oder anordnen, weil sie für diese nicht selbst aufkommen müssen. Das wirft bezüglich der angestrebten Neuregelung einige ungeklärte Fragen auf:
·      Wie soll verhindert werden, dass der Kanton zukünftig nicht einfach nur aus Kostengründen vermehrt auf ambulante Angebote setzt?
·      Müsste eine neutrale und rein fachliche Beurteilung nicht frei von Kostenüberlegungen stattfinden?
·      Kann das AKJB die Indikationen überhaupt neutral beurteilen, wenn es gleichzeitig Rechenschaft für die damit verbundenen Kosten ablegen muss?
·      Was passiert, wenn der Sozialdienst einer Gemeinde den Bedarf für ein stationäres Angebot indiziert, der Kanton aber bei der Überprüfung der Indikation zu einer anderen Einschätzung kommt?
 
Fazit
Sparmassnahmen oder Kostensenkungen werden in den oben genannten Zielen genauso wenig erwähnt wie der Abbau stationärer Angebote in der Kinder- und Jugendhilfe. In der Landratsvorlage nehmen diese Themen allerdings eine zentrale Rolle ein. Fachliche und finanzielle Überlegungen werden dabei vermischt. So wird beispielsweise der Vorteil betont, „dass der Kanton den gesamten Bereich der ergänzenden Hilfen zur Erziehung in der Hand hat. Er verfügt über stark erweiterte Steuermöglichkeiten bezüglich der Kosten und Leistungen gegenüber dem heutigen Zustand“.
Daraus ergeben sich folgende Anmerkungen:
·      Die Zusammenführung aller Angebote der ergänzenden Hilfen zur Erziehung ermöglicht eine verbesserte Planung und Koordination und macht deshalb Sinn
·      Die drei oben genannten Ziele bilden die Grundlage für diese Gesetzesänderung
·      Eine funktionierende Kinder- und Jugendhilfe braucht ambulante und stationäre Angebote
·      Das Kindswohl und der Kindesschutz sind höher zu bewerten als finanzielle Überlegungen
·      Fachliche Beurteilungen müssen unabhängig von finanziellen Überlegungen stattfinden und klar voneinander getrennt werden, der Kanton muss diese Trennung gewährleisten
·      Ein Ausbau der ambulanten Angebote ist wünschenswert, jedoch nicht auf Kosten der stationären Angebote
·      Der Abbau von stationären Angeboten ist kein Ziel dieser Gesetzesänderung und führt zu einer Unterversorgung, wie sich am Beispiel anderer Länder (z. B. Holland) zeigt
·      Einsparungen führen nicht zu einer Verbesserung des Angebotes
·      Bei der Evaluation muss zwingend überprüft werden, ob die ambulanten Massnahmen auch Wirkung zeigen
Wir bitten Sie, unsere Ausführungen eingehend zu prüfen und in der Weiterentwicklung der Vorlage zu berücksichtigen. Für Fragen und weitere Ausführungen stehen wir gerne zur Verfügung.