Teilrevision der Geschäftsordnung des Landrats: Wahlvorbereitungsgremium für vom Landrat vorzunehmende Wahlen von Richter*innen (Motion 2021-445)
Stellungnahme der GRÜNEN Baselland vom 29. August 2024
die GRÜNEN Baselland nehmen zur geplanten Teilrevision der Geschäftsordnung des Landrats betreffend Wahlvorbereitungsgremium zur Wahl von Richter*innen wie folgt Stellung.
Grundsätzlich ist anzumerken, dass das Anliegen, ein Wahlvorbereitungsgremium für die Gerichtswahlen einzusetzen, nicht neu ist. Es wurde im Landrat in den vergangenen Jahren mehrfach geprüft und verworfen, ohne dass in derselben Zeit nennenswerte strukturell bedingte Probleme bei Gerichtswahlen aufgetreten wären. Da es sich bei Gerichtswahlen um einen äusserst sensiblen Teil unseres demokratischen Systems handelt, ist bei Reformen des Wahlsystems prinzipiell zurückhaltend vorzugehen. Änderungen an der geltenden Gesetzeslage sollten nur nach erschöpfender Abwägung aller Vor- und Nachteile und bei klarem Handlungsbedarf erfolgen. Diese Anforderungen sind nach unserem Dafürhalten vorliegend nicht erfüllt. Unsere Position zu den einzelnen Punkten der Vorlage erläutern wir im Folgenden eingehend.
1. Grundsatz: Ablehnung der Vorlage
Die Grünen Baselland empfehlen dem Landrat, die Vorlage durch Nichteintreten zu erledigen, eventualiter die Vorlage zur Änderung zurückzuweisen. Das zugrundeliegende Postulat ist abzuschreiben.
2. Änderungsvorschläge
Subeventualiter erachten wir zumindest die folgenden Änderungen an der Vorlage für angebracht:
- Verankerung der Regelung unter Berücksichtigung des Gentlemens’ Agreements im Gesetz
- Die Einführung von qualifizierten Mehrheiten für Ablehnung einer Person in der Wahlvorbereitungskommission
- Reduktion des Kriterienkatalogs der Kommission auf ausschliesslich solche, die objektiv überprüfbar sind (insb. Streichung § 35 Abs. 1bis lit. a Ziff. 5 (neu) LRD
- Aufnahme von ausdrücklichen Regelungen zu allen unten aufgeführten offenen Fragen
- Aufnahme einer Begründungspflicht bei negativen Empfehlungen der Kommission
3. Reformbedarf nicht gegeben
Die Gerichtswahlen oblagen im Kanton Basel-Landschaft lange der Wahlbevölkerung, entsprechend der stark direktdemokratischen Verfassungstradition unseres Kantons. Prinzipiell sollte damit die Judikative direkt durch die Bevölkerung legitimiert und von der Einflussnahme von Regierung und Parlament abgeschirmt werden. Faktisch fielen die Wahlbefugnis und die Vorbereitung der Wahl zu stark auseinander, weshalb die Wahlbefugnis an den Landrat übertragen wurde. Damit, und mit dem Gentlemens’ Agreementzwischen den Fraktionen, wurde eine Regelung mit zugehöriger Praxis der Fraktionen geschaffen, welche sich bewährt hat.
Für den Nachweis der Notwendigkeit der vorliegenden Anpassung des geltenden Rechts müsste anhand mehrerer konkreten Fälle gezeigt werden, dass erstens das geltende Recht zur Wahl von objektiv nicht geeigneten Personen als Richter*innen geführt hat und zweitens genau diese Vorlage Abhilfe schaffen würde. Während wir den zweiten Punkt bestreiten, kann für den ersten Punkt klar festgestellt werden, dass die Bedingung nicht erfüllt ist.
4. Richterliche Unabhängigkeit
Die richterliche Unabhängigkeit ist ein zentrales schweizerisches und europäisches Verfassungsprinzip. Gerichtswahlen sind besonders geeignet, diese zu verletzen. In einem System mit regelmässiger Wiederwahl (im Gegensatz zu Systemen mit langer, aber einmaliger Amtsdauer) ist die Exposition der Richter*innen gegenüber Eingriffen in ihre Unabhängigkeit besonders hoch.
Im geltenden Recht liegt die Wahlvorbereitung alleine bei den Fraktionen, welche dabei nach dem von ihnen vereinbarten Gentlemens’ Agreement vorgehen. Es besteht ein starker Anreiz für jede Fraktion, überzeugende Kandidat*innen zu nominieren, weil jede andere Fraktion Vorbehalte gegen eine Kandidatur anbringen kann. Ein grosser Vorteil liegt darin, dass die Fraktionen die Hearings unabhängig voneinander durchführen – letztlich wird damit eine mehrfache unabhängige Prüfung erreicht. Mit einer neu zu schaffenden Kommission wird ein formeller Rahmen für potenziell sehr politische und einem sauberen Prozess abträgliche Diskussionen zwischen den Fraktionen geschaffen. Es entsteht eine zusätzliche Instanz, die einer eigenen Dynamik unterliegt und aus der Perspektive der Kandidat*innen eine weitere politische Exposition schafft. Die Anreizsituation in der Kommission ist somit unklar. Insgesamt ist eine Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit zu befürchten.
Nach der vorliegenden Revision soll das Verfahren gemäss Gentlemens’ Agreement weiter erhalten bleiben. Auf dem Papier soll die neu zu schaffende Kommission nur als Ergänzung dienen. Dabei stellen sich aber hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit mehrere Fragen, deren praktische Beantwortung in der Vorlage vernachlässigt wird:
- Wird im Falle divergierender Einschätzungen über die Eignung einer Kandidatur zwischen Kommission und Fraktionen eine der beiden faktisch massgeblich sein für den Wahlentscheid? Wenn ja, welche?
- Wie erfolgt die Prüfung in der Kommission faktisch? Gibt es Regeln für die Durchführung von Hearings? Kann auch eine Prüfung nur auf dem Papier erfolgen?
- Können Externe, Personen aus der Verwaltung oder gar Regierungsrät*innen beigezogen werden? (Gemäss geltendem Recht: ja, §§ 19-20 LRG)
- Welche Unvereinbarkeiten wären noch festzulegen? (§ 17 Abs. 2 LRG)
- Soll die Kommission Subkommissionen bilden können? (§ 23 LRD)
- Soll der Regierungsrat die Protokolle erhalten? (§ 26 Abs. 1 lit. A LRD)
- Wie soll die Berichterstattung an den Landrat gem. § 29 LRD erfolgen? (Schutz der Persönlichkeitsrechte, Minderheitsbericht etc.)
Zusammengefasst haben wir ernsthafte Bedenken bezüglich des Schutzes der richterlichen Unabhängigkeit und können aufgrund der spärlichen Ausführungen der Vorlage und des Dekretsentwurfs zu keiner Einschätzung über die Verfassungsmässigkeit des Entwurfs gelangen.
5. Kriterien der Vorprüfung
In § 35 Abs. 1bis lit. a. des Entwurfs werden in den Ziffern 1-4 objektiv überprüfbare Kriterien aufgeführt, nach welchen sich die Kommission zu richten hätte. Diese Bestimmungen verlieren angesichts von Ziff. 5 allerdings jeden Regelungsgehalt, wenn die Prüfung der Einigung einer Person «als Persönlichkeit» für das Richteramt gefordert wird. Wodurch muss sich eine für das Richter*innenamt geeignete Persönlichkeit auszeichnen? Geht es um persönliche politische Haltungen, um Moralvorstellungen, um charakterliche Eigenschaften, um Religion, um den sozialen Hintergrund einer Person, oder letztlich einfach um Sympathie? Oder ist «die Persönlichkeit» vielmehr eine offene Kategorie, unter welche sich beliebig Gründe zur negativen Empfehlung subsumieren lassen?
Wahlentscheide müssen prinzipiell nicht begründet werden. Den einzelnen Landrät*innen kommt im Rahmen der Wahl von Richter*innen also volles Ermessen zu. Ebenso liegt es bis Anhin im Ermessen der Fraktionen, aufgrund welcher Kriterien sie im Rahmen des Agreements allenfalls «qualitative Vorbehalte gegen eine Kandidatur» anbringen. Allerdings besteht eine wichtige Einschränkung: Indem es nicht genügt, wenn bloss eine Fraktion Bedenken anmeldet, um eine Kandidatur in Frage zu stellen, ist eine gewisse Objektivität gesichert. Wenn nun einer einzigen Kommission mit derart starkem Gewicht im Auswahlverfahren freies Ermessen gewährt wird, kommt dies de facto einem freien Auswahlverfahren nach persönlichem Gusto gleich – genau das Gegenteil des Anliegens der vorliegenden Revision.
In einem öffentlich-rechtlichen Prüfverfahren, worum es sich vorliegend handelt, ist die Gewährung freien Ermessens prinzipiell fehl am Platz. Staatliches Handeln muss stets von Regeln und Kriterien geleitet sein. Gerade wenn aus einer bestimmten Motivation heraus eine neue Regelung eingeführt werden muss, muss diese Motivation in einer angebrachten Regelung zum Ausdruck kommen. Ansonsten handelt es sich um eine Alibiübung.
Schliesslich sind die mittelfristigen Konsequenzen der Einführung einer Kommission, welche mit freiem Ermessen über die Eignung von Kandidaturen für die Gerichte entscheidet, unabsehbar. Auch wenn der Kommission kein formelles Entscheidungsrecht zukommt: In der Kommission sind alle Fraktionen vertreten. De facto besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Fraktionen (mit denselben Mehrheiten, welche bereits in der Kommission zum Tragen kommen) jeweils den Kommissionsentscheidungen folgen. Dies gilt sowohl für den Nominationsprozess gem. Agreement, als auch für die eigentliche Wahl im Landrat. Damit werden einer politischen Einflussnahme auf die Gerichte mit einfachen Mehrheiten Tür und Tor geöffnet. Es wird explizit ein Gremium geschaffen, welches kaum Sicherheitsmechanismen gegen polnische oder amerikanische Verhältnisse einer politischen Justiz kennt, ja zur politischen Umbildung der Gerichte beinahe einlädt. Vor international anerkannten Standards zum Schutz der Unabhängigkeit der Gerichte vermag die vorliegende Regelung somit nicht Stand zu halten.
6. Allgemeine Grundsätze demokratischer Wahlen
Wahlen müssen, um verfassungsgemäss zu sein, (u.a.) allgemein, frei, und gleich sein. Mit der vorgeschlagenen Regelung können verschiedene zusätzliche Einschränkungen oder Gefährdungen dieser Grundsätze entstehen, etwa in den folgenden möglichen Szenarien:
- Die Wahlvorbereitungskommission führt sehr ausführliche Hearings durch, die Fraktionen sind an einen relativ knappen Zeitplan gebunden. Zwischen Landratsmitgliedern, welche in der Kommission Einsitz nehmen, und allen anderen entsteht eine erhebliche Informationsungleichheit, die den Kommissionsmitgliedern faktisch ein stärkeres Gewicht im Prozess gibt. Die Allgemeinheit der Wahl ist damit eingeschränkt.
- Die Kommission spricht (gerechtfertigt oder nicht) eine negative Empfehlung zu einer Kandidatur aus. Diese betrifft von Gesetzes wegen die «Eignung» einer Person. Auf alle Landratsmitglieder wird dadurch ein faktischer Druck ausgeübt, die betreffende Person nicht zu wählen, falls die nominierende Fraktion an ihr festhält. Die Freiheit der Wahl ist damit eingeschränkt.
- Eine Kandidatur wird nach negativer Empfehlung der Wahlvorbereitungskommission zurückgezogen. Die Kommissionsmitglieder hatten bereits Gelegenheit, in einem geregelten Prozess auf die Kandidatur einzuwirken, die weiteren Landratsmitglieder erhalten diese Gelegenheit nicht mehr. Die Gleichheit der Wahl ist eingeschränkt.
Den Wahlprozess betreffend stellen sich weitere, in der Vorlage nicht behandelte Fragen:
- Können oder sollen die Hearings von Kandidat*innen öffentlich stattfinden (§ 22 Abs. 1 LRG)? Es sprechen Gründe dafür (Nachvollziehbarkeit der Wahlen, Transparenz) und dagegen (Persönlichkeitsschutz). Dass diese wichtige Frage, welche durch das bestehende Recht entsteht, nicht behandelt wird, spricht nicht für die handwerkliche Qualität der Vorlage.
- Wie ist angesichts vielfältiger (Persönlichkeits-)schutzinteressen mit dem Kommissionsgeheimnis umzugehen? Wie wird das Entstehen einer Geheimkammer für Gerichtswahlen verhindert?
- Soll die Wahlvorbereitungskommission auch über die Möglichkeit verfügen, aus eigener Initiative Probleme aufzugreifen und Vorstösse einzureichen (§ 18 Abs. 2 LRD)? Wenn ja, wie definiert sich der Zuständigkeitsbereich? Auch diese Frage hätte nicht unbeantwortet bleiben dürfen.
- Können durch die Kommission Verzögerungen oder Blockaden in den Gerichtswahlen entstehen, bspw. durch mangelnde Beschlussfähigkeit oder -willigkeit? Die Frage erhält durch abschreckende Beispiele in vielen Justizsystemen (USA, Deutschland, Polen, um nur einige medial besonders stark diskutierte zu nennen) erhöhtes Gewicht.
Ohne vertiefte Prüfung und sorgfältige Beantwortung dieser Fragen, inkl. allfälligen Anpassungen der Vorlage, sind die GRÜNEN nicht in der Lage, der Vorlage zuzustimmen.
7. Regelungsstufe
Wie in der Vorlage richtig bemerkt wird, sind gemäss Landratsgesetz die Fraktionen zuständig für die Vorbereitung von Wahlen. Die Fraktionen sind auch den Kommissionen gleichgestellte Organe des Landrats. Die Kommissionen haben von Gesetzes wegen gerade keine Rolle in der Wahlvorbereitung. In § 26 LRG bestünde eine gesetzliche Grundlage (erforderlich gem. § 63 Abs. 3 KV) für die genauere Regelung der Wahlvorbereitung durch die Fraktionen im Dekret. Per Dekret die Wahlvorbereitung (mit) an eine Kommission zu übertragen, steht aber in direktem Widerspruch zum Landratsgesetz. Dort werden sogar explizit alle Wahlen («bereiten die Wahlen vor») in die Zuständigkeit der Fraktionen gelegt. Selbst bei nicht exklusiver Lesart des § 26 LRG fehlt dem vorliegenden Dekretsentwurf die gem. KV notwendige Gesetzesgrundlage. Das Dekret würde einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten, womit bei Erlass in der vorliegenden Version (ohne Gesetzesänderung) in einem besonders sensiblen Bereich eine nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheit geschaffen würde. Ohnehin darf der Status der Fraktionen als Organ des Landrats mit nach unserem Dafürhalten (ausser per Gesetz) unentziehbaren Aufgaben nicht mit einem Dekret geschwächt werden.
Dass die vorliegende Änderung auf Dekretsstufe unzulässig ist, ergibt sich auch aus der Vorlage selbst (2.3.3 n., S. 13). So wird festgehalten, dass die Übertragung weiterer Aufgaben an die Wahlvorbereitungskommission einer Gesetzesänderung bedürfte. Für die Wahl des*der Datenschutzbeauftragten und der Leitung von Staats- und Jugendanwaltschaft sei kein vorgängiger Einbezug einer Landratskommission vorgesehen. Die am selben Ort aufgeführte Zuständigkeit von Spezial- und Finanzkommission für die Wahl von Ombudsperson und Leiter*in Finanzkontrolle ist in Gesetzen (nicht im Dekret) geregelt, ebenso das Wahlverfahren für die*den Datenschutzbeauftragten und für die Leitung der Staatsanwaltschaft.
Zuletzt ist auf den Status des Gentlemens’ Agreement in der Normenhierarchie einzugehen. In § 35 Abs. 1bis lit. a (neu) LRD ist ohne Kenntnis und Voraussetzung des Agreements nicht zu verstehen, wer die «vorgeschlagene» Richter*in ist. Gleichzeitig wird das Agreement in der Vorlage ausführlich erläutert, und die beiden Prozesse (neues Dekret, Agreement) werden auf unauflösbare Weise miteinander verwoben. Absurderweise wird damit eine bisherige Praxis der Fraktionen (Agreement) kodifiziert. Denn ohne Agreement funktioniert auch das Dekret nicht mehr in der von der Vorlage beschriebenen Weise. Diese Kodifikation erfolgt aber ohne Vernehmlassung (des Agreements), nicht auf der angebrachten Regelungsstufe (weder im Gesetz noch im Dekret, sondern auf gar keiner) und ohne förmliche Publikation, im Weiteren ohne die üblichen Möglichkeiten der Anfechtung (oder nur auf Umwegen). Unbestreitbar hatte das Agreement bereits anhin (als gelebte Praxis) grossen Einfluss auf die Gerichtswahlen. Wäre es rechtlich verbindlich, hätte es ins Landratsgesetz oder zumindest ins Dekret aufgenommen werden müssen. Dass Landrat (und Stimmbevölkerung) dies nicht taten, obwohl sie die Möglichkeit dazu gehabt hätten, weist auf die Verfassungswidrigkeit des vorliegenden Entwurfs mit seiner unauflösbaren Bezugnahme auf das Agreement hin. Eine gerichtliche Beurteilung müsste zum Schluss kommen, dass das Dekret verfassungswidrig sei. In einer (von uns nicht geteilten) verfassungskonformen Auslegung wäre der einzige Ausweg, das Dekret so zu lesen, als ob es kein Agreement gäbe. In dieser Lesart wäre der Begriff «vorgeschlagene Richterin bzw. [..] vorgeschlagene[r] Richter» (§ 35 Abs. 1bis lit. a (neu) LRD) auf sämtliche von irgendwelchen Fraktionen vorgeschlagene Personen auszudehnen, also nicht nur auf die Vorschläge von gem. Agreementvorschlagsberechtigten Fraktionen. Das käme de facto einer Aushebelung des Agreements gleich.