Stellungnahme: Teilrevision des Gerichtsorganisations- und Prozessrechts
Wir bedanken uns für die Einladung an die Grünen Baselland, sich zur Vernehmlassungsvorlage betreffend Teilrevision des Gerichtsorganisations- und Prozessrechts zu äussern:
Grundsätzlich ist jeder Leistungsabbau bei den Gerichten – und davon handelt die ‚Sparvorlage‘ – auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zu würdigen. Entsprechend müssen rein ökonomisch motivierte Eingriffe zumindest sachlich geboten und in jedem Fall verhältnismässig sein. Die vorgeschlagenen Sparmassnahmen orientieren sich dann aber einseitig am möglichen Sparpotenzial und es fehlt eine sachgerechte und fundierte Diskussion über deren Auswirkungen fast gänzlich. Dies ist in Anbetracht der subtilen Materie wenig verständlich. In Anbetracht, dass die Rechtsprechung lediglich knapp ein Prozent der Staatsausgaben verursacht, ist die Sparwirkung entsprechend bescheiden und es steht der Nutzen in keinem Verhältnis zum damit einhergehenden Leistungsabbau.
Die Grünen lehnen einen solchen Leistungsabbau ab.
Im Einzelnen:
Leitungsstruktur und Rotationsprinzip
Eine Verringerung der Sitzungszeit der GL ist grundsätzlich zu begrüssen und es hat sich die GL auch auf den im Verhältnis zur Grösse der Verwaltungseinheit notwendigen Aufwand zu beschränken. Ob es dazu Ressorts und Ausschüsse bedarf ist fraglich und es dürfte eine solche Aufblähung auch nicht kostenneutral sein. Gegen das „Rotationsprinzip“ beim Kantonsgerichtspräsidium in der vorgeschlagenen Form ist nichts einzuwenden.
Spruchkompetenzen
Jede Verkleinerung der Spruchkörper bis hin zur Präsidialkompetenz erweckt rechtsstaatliche Bedenken und sollte entsprechend gut begründet sein. Zumindest an der zweiten Instanz, welche als Rechtsmittelinstanz die angemessene und rechtsgleiche Rechtsanwendung zu gewährleisten hat, sollten Einzelrichterkompetenzen ausschliesslich auf Prozessentscheide beschränkt bleiben. Es ist eine Illusion zu glauben, dass materielle Rechtsentscheide unabhängig der Herkunft und dem politischen Hintergrund einer Justizperson gefällt werden können, was in jedem Fall für mindestens ein Dreiergericht spricht. Allen, die bei solchen Entscheidungen je dabei waren, können und müssen dies bestätigen. Es ist deshalb umso unverständlicher, wenn diese offensichtlich vor allem für die Entscheidbetroffenen derart wichtigen Aspekte weitgehend diskussionslos einem nicht wirklich ausgewiesenen Spardruck geopfert werden.
Entsprechende Bedenken sind deshalb gegenüber der Einführung der Dreierbesetzung als Regelfall im Verwaltungsrecht angebracht, wobei eine solche überhaupt nur akzeptabel wäre, soweit die Fälle der Fünferbesetzung absolut konkret umschrieben werden und eine Ausweitung der Dreierkammer auch von den Parteien verlangt werden kann.
Die Einführung der Präsidialkompetenz bei der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung ist nicht nur aus den vorgenannten Überlegungen, sondern auch wegen der Tatsache abzulehnen, dass die Abteilung im Unterschied zu den andern Abteilungen die einzige kantonale Gerichtsinstanz ist. Der Abbau einer Richterstelle an der Abteilung Sozialversicherungsrecht ist bei der aktuellen Belastung der Richterinnen und Richter unverantwortlich und es steht der minimale Spareffekt in keinem Verhältnis zu dem allein aus organisatorischer Sicht (ständiger Beizug von Richterinnen und Richter aus andern Abteilungen) resultierenden Mehraufwand. Es widerspricht letztlich auch dem Gedanken fachlich spezialisierter Abteilungen, wenn regelmässig abteilungsfremde Richterinnen und Richter beigezogen werden müssen.
Aus den genannten Gründen ist auch die Erweiterung der Präsidialzuständigkeit beim Steuergericht abzulehnen, ist dieses, wie das Sozialversicherungsgericht, die einzige kantonale richterliche Instanz.
Verwaltungsprozessordnung
Einzelkompetenzen für Sachurteile sind aus den vorgenannten grundsätzlichen Überlegungen unabhängig der Parteianträge abzulehnen. Zirkulationsentscheide stehen dem Grundsatz der öffentlichen Urteilsberatung entgegen und sind deshalb zumindest für materielle Entscheide abzulehnen. Da regelmässig nicht alle Beteiligten im Haus sind, sprechen auch organisatorische Gründe gegen Zirkulationsentscheide. Sollten Zirkulationsentscheide eingeführt werden, wäre die diesbezügliche Entschädigung der nebenamtlichen Richterinnen und Richter zu regeln.
Abteilung Zivilrecht
Die relativ umfassende Präsidialzuständigkeit wurde hier unverständlicherweise bereits früher geschaffen. Wie bereits darauf hingewiesen, lässt sich die Präsidialzuständigkeit für materielle Entscheide an zweitinstanzlichen Gerichten ausser mit Spareffekten nicht begründen und es genügt ein solches System den Anforderungen an ein zweitinstanzliches Gericht klar nicht. Jede weitere Ausweitung der Präsidialzuständigkeiten ist unter diesem Blickwinkel abzulehnen.
Abteilung Strafrecht
Auch im Strafrecht wurden vor wenigen Jahren an beiden Instanzen die Spruchkompetenzen erhöht und die Präsidialkompetenzen erweitert, was auf Stufe Kantonsgericht bereits zum Abbau von 2 Richterstellen geführt hat. Es ist damit nur einsichtig, dass die Vorlage keine weiteren Korrekturen bei den Spruchkörpern verlangt. Die vorgesehene Ausdehnung der Präsidialkompetenzen ist jedoch klar abzulehnen, auch wenn sie sich lediglich auf ambulante und andere Massnahmen bezieht. Wie bereits ausgeführt, sind Präsidialzuständigkeiten an der zweiten Instanz zumindest für materielle Entscheide grundsätzlich abzulehnen. Dies umso mehr, als die Massnahmen nach Art. 66 ff. StGB, insb. die Landesverweisung und die Einziehung von Vermögenswerten tief in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingreifen. Es würde jedoch auch eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung geschaffen, soweit die strafrechtliche Landesverweisung von einer Einzelperson beurteilt würde, während für die verwaltungsrechtliche Wegweisung heute noch eine Fünferkammer und nach dieser Vorlage in Zukunft zumindest eine Dreierkammer zuständig ist. Da Massnahmeentscheide nach den Art. 63 und 66 ff. StGB in der zweiten Instanz nicht allzu häufig vorkommen, steht auch der angepeilte Spareffekt in keinem vernünftigen Verhältnis zum damit verbundenen Eingriff.
Ein zusätzlicher Richterabbau ist weder notwendig noch angebracht, bestehen doch bereits heute Probleme beim Bestellen der Berufungskammern mit unbefangenen Richterinnen und Richter (Art. 21 Abs. 2 StPO). Es dürfte auch fraglich sein, ob bei noch weniger Richterinnen und Richter der verfassungsmässige Anspruch auf ein zuständiges Gericht (Art. 30 BV) in jedem Fall noch gewährleistet ist.
Vielen Dank für die Berücksichtigung unserer Anliegen.