Interpellation von Regula Waldner für die Landratssitzung vom 25. März 2021
Ingenieure und Ingenieurinnen konzentrieren sich in der Regel auf „Mobilität in Bezug auf Arbeitsplätze“. Es wird nach Stosszeiten im Verkehr und der maximalen Kapazität der Infrastruktur geplant, welche sich nach den Arbeitszeiten richten. Verkehrswege von Nicht-Berufstätigen – bei uns nach wie vor oftmals Frauen – werden wenig beachtet, da sie eben nichts mit derartigen Stosszeiten zu tun haben. Selbst die Wirtschaftskommission der vereinten Nationen stellt ein grosses Defizit in der genderbasierten Konfigurierung von Verkehrssystemen fest (https://unece.org/gender-and-transport).
Mobilität zu Care-Zwecken (Kinder begleiten, Verwandte versorgen etc.) hat nichts mit der Mobilität zwecks Freizeitbeschäftigung zu tun, fällt bei den üblichen Verkehrserhebungen aber auch nicht unter die Kategorie „Berufs- und Pendlerverkehr“. So kommt es, dass viele Frauen dauernd benachteiligt werden, wenn sie mobil sind: Ihre Streckendaten werden nicht erfasst, weil sie nicht bzw. „nur“ teilzeitlich berufspendeln oder häufiger zu Fuss als motorisiert unterwegs sind. Ihre Routen verlaufen mitunter nicht von der Peripherie in ein Zentrum, sondern ordnen sich quer zu diesen Routen an, so dass sie beim öV öfter umsteigen und längere Reisezeiten in Kauf nehmen müssen. Ihre Bewertung von Weg-Qualitäten für Fussgänger*innen ist eine andere als diejenigen von Männern, weil sie mit einem Kind an der Hand einen erhöhten Sicherheitsanspruch haben müssen und vielleicht auch einen angenehm und abwechslungsreich gestalteten Fussweg einer fussläufigen Schnellverbindung vorziehen. Gleiches gilt für das subjektive (nächtliche) Sicherheitsgefühl bei Haltestellen etc., das einen Genderbezug aufweist.
Das Aufschlüsseln des genderspezifischen Mobilitätsverhaltens ist eine grosse Chance, bestehende Ungerechtigkeiten in der Verkehrsplanung (und Siedlungsplanung) zu glätten und sie so auszugestalten, dass sie Frauen und Männern gleichermassen nützen. Dasselbe gilt für das Mobilitätsverhalten von älteren Menschen und Kindern, welches durch eine zu starke Fokussierung auf die Pendlerfrage genauso unkorrekt abgebildet wird. In letzterem Fall liefern etwa Kinderbüros beeindruckende Beispiele, wo und wie sich Kinder im öffentlichen Raum bewegen und welche Ansprüche sie an ihre Verkehrswege hätten, wenn sie gar selber planen könnten.
Ich bitte den Regierungsrat deshalb um die Beantwortung der folgenden Fragen:

  1. Welche Datengrundlagen zu genderspezifischen Wegstrecken und zum genderspezifischen Mobilitätsverhalten zieht der Kanton bei seiner Verkehrsplanung zu Rate?
  2. Wie fliessen Genderaspekte aktuell in die kantonale Verkehrsplanung ein?
  3. Wie fliessen Genderaspekte in die Stellungnahmen zu Mobilitätsfragen in Zonen- und Quartierplanungen ein?
  4. Wie fliessen die Mobilitätsansprüche von älteren Menschen und Kindern aktuell in die kantonale Verkehrsplanung oder in die Stellungnahmen zu Zonen- und Quartierplanungen ein?
  5. Was unternimmt der Kanton, um die zunehmend bedeutende Care-Arbeit und die damit assoziierten Care-Strecken bei der Mobilität unterstützend zu berücksichtigen?
  6. Kann sich der Regierungsrat vorstellen, allfällige Datenlücken zu schliessen und die bisweilen komplizierteren Fortbewegungsmuster der Frauen gezielt zu erheben und praxisbezogen auswerten zu lassen?
  7. Kann sich der Regierungsrat vorstellen, allfällige Grundlagen zum Mobilitätsverhalten älterer Menschen und Kinder im periurbanen wie ländlichen Raum zu erheben und entsprechende Handlungsfelder zu bezeichnen?

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