Motion von Landrätin Katrin Joos Reimer für die Landratssitzung vom 16. März 2023

Mit wachsenden Siedlungsräumen in zunehmender baulicher Verdichtung wird nicht nur die Vernetzung von Naturräumen ausgedünnt bis unterbrochen, es verschärft sich auch der Hitzeinsel-Effekt in den Ortschaften. Es ist in der Fachwelt unbestritten, dass dem grossen Energiespeicherpotential der Hartmaterialien (Gebäudemauern, Dächer, Strassenbeläge etc.) bzw. ihrer Wärmeabstrahlung am effektivsten mit üppiger Vegetation begegnet wird. Diesem Faktum trägt weder das kantonale Raumplanungs- und Baugesetz noch die Verordnung dazu Rechnung. Zwar wird im RBG festgehalten, dass u.a. auch die Grünflächenziffer zur Bestimmung der baulichen Nutzung zur Anwendung kommen darf, doch die Definition im RBV, was alles als Grünfläche gilt, ist sehr allgemein gehalten und bietet den Gemeinden grossen Interpretationsspielraum. Vorgaben zu einem minimalen Anteil eines Grundstücks, der als Grünfläche gehalten werden muss, existieren auf kantonaler Ebene nicht.

Raumplanungs- und Baugesetz (RBG)
1.3 Ortsplanung
1.3.2 Kommunale Nutzungsplanung
§ 18 Zonenpläne und Zonenreglemente (Zonenvorschriften)
3 … Die maximal zulässige, bauliche Nutzung wird mit der Überbauungs-, Grünflächen- und/oder der Ausnützungsziffer bestimmt.

Verordnung zum Raumplanungs- und Baugesetz (RBV)
7 Bestimmungen IVHB
§ 48 IVHB Grünflächenziffer
1 Die Grünflächenziffer (GZ) ist das Verhältnis der anrechenbaren Grünfläche (aGrF) zur anrechenbaren Grundstücksfläche.
2 Als anrechenbare Grünfläche gelten natürliche und/oder bepflanzte Bodenflächen eines Grundstücks, die nicht versiegelt sind und die nicht als Abstellfläche dienen.
(IVHB: Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe)

Unklarheiten ergeben sich insbesondere in der Formulierung RBV § 48 IVHB Abs. 2: …natürliche und/oder… Was ist damit gemeint:
– natürlich bewachsene und/oder bepflanzte Bodenflächen,
– natürlich belassene Bodenflächen im Sinne von unverändert, unabhängig von einer Bepflanzung, oder aber
– natürlich gestaltete Bodenflächen, die auch mineralischer Natur sein können (inkl. nicht oder nur spärlich bepflanzte Geröll-, Schotter-, Kies-, Sand-, Mergelflächen u.Ä.)?

Nur wenige kommunale Zonenreglemente Siedlung befassen sich mit einer Grünflächenziffer, und hierin bestehen sehr grosse Unterschiede zwischen den Gemeinden:
In Arlesheim beträgt sie in Wohnzonen (W und WG) 40-50% der Parzellenfläche und in Gewerbezonen 10%; vergleichbar ist Birsfelden mit 45%.
Im Zonenreglement von Reinach wird die Grünflächenziffer zwar beschrieben, aber nicht beziffert, und keines der 14 Quartierplan-Reglemente enthält ein Minimalmass am Grünflächenanteil. In Widerspruch zu RBV § 48 IVHB Abs. 2 werden hier auch unbefestigte Parkierungs- und Lagerflächen (Mergel, Schotterrasen, Rasengittersteine und ähnliches) mit der halben Fläche bis maximal 50% der ausgewiesenen Grünfläche angerechnet (§ 12 Abs.3). Der gleiche Widerspruch findet sich im Zonenreglement Siedlung von Allschwil (§ 5 Abs. 2) und Frenkendorf (§ 7 Abs. 2).
In Pratteln beschränken sich die Vorgaben zur Grünflächenziffer mit 10% auf Gewerbe- und Industriezonen, wobei auch sickerungsfähige Beläge ohne jegliches Grün mit 25% der Fläche angerechnet werden (Art. 4 Abs. 5).

Angesicht der zunehmenden baulichen Verdichtung und der unterschiedlichen Handhabung der Grünflächenziffer in den Gemeinden scheint es dringend angezeigt, auf Kantonsebene qualitativ und quantitativ spezifizierte Anforderungen an Grünflächen im Siedlungsraum zu stellen, die für alle Gemeinden als Mindestmass verbindlich sind.

Der Regierungsrat wird ersucht, zu RBV § 48 IVHB Abs. 2 unter Berücksichtigung folgende Elemente einen Vorschlag zur Spezifizierung der anrechenbaren Grünflächenziffer auszuarbeiten:

  • quantitative Mindestfläche in Prozent der Parzellenfläche nach Zonen abgestuft (Wohn-/Gewerbe-/Industriezonen/Quartierplan-Areale)
  • Anrechenbarkeit der relativen Flächenanteile nach ökologisch qualitativen Kriterien in Abhängigkeit der Beschaffenheit (z.B.100/50/25/10% der betreffenden Fläche):
    – unversiegelte naturnahe Grünflächen, Hecken, Feuchtbiotope, Pflanzbeete, echte Steingärten;
    – begrünte Überdachungen von Einstellhallen, Schotterrasen, Rasengitterstein-Flächen;
    – extensiv begrünte Dachflächen mit 10 cm Humusauflage bzw. mehr;
    – Mergelflächen, Schotterflächen mit Folienunterzug etc.

Katrin Joos Reimer

Landrätin